Mehr Truppen, mehr Raketen, mehr Gewalt: Trotz internationaler Friedensbemühungen stehen die Zeichen im Nahost-Konflikt auf weiterer Eskalation. Die israelische Armee hat zusätzliche Truppen an die Grenze des Gazastreifens verlegt. Israelische Panzer feuerten auf die palästinensische Enklave und Bodentruppen sammelten sich an der Grenze, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichten. Der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf israelische Städte hielt weiter an.
»Wir sind bereit und bereiten uns weiter für verschiedene Szenarien vor«, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus. Eine Bodenoffensive sei »ein Szenario«. Die Streitkräfte betonten aber, eine Bodenoffensive sei nicht der primäre Fokus des Einsatzes gegen militante Palästinenser.
Die schweren Zusammenstöße zwischen jüdischen und arabischen Israelis schüren derweil Ängste vor Unruhen innerhalb der israelischen Bevölkerung. Verteidigungsminister Benny Gantz kündigte eine »massive Verstärkung« der Sicherheitskräfte im ganzen Land an. »Die Gewalt innerhalb Israels hat ein Ausmaß erreicht, wie man es seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat«, sagte Polizeisprecher Micky Rosenfeld. Polizeibeamte verhinderten »buchstäblich, dass Pogrome stattfinden«, fügte er hinzu.
Reservisten der Grenzpolizei wurden in israelische Städte geschickt, um die Gewalt einzudämmen. Bereits am Mittwochabend hatte es in mehreren Städten Zusammenstöße zwischen ultranationalistischen Juden und arabischen Israelis sowie der Polizei gegeben. Politiker und Kommentatoren warnten vor der Gefahr eines »Bürgerkriegs«. Bei den Zusammenstößen waren unter anderem ein arabischer Israeli erschossen und eine Synagoge in Brand gesteckt worden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bezeichnete die Gewalt in israelischen Städten als »inakzeptabel«.
In der israelischen Stadt Lod schoss am Donnerstagabend ein Mann auf eine Gruppe bewaffneter Juden und verletzte dabei einen Menschen. Wie ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AFP sagte, eröffnete der Mann das Feuer mit einer halbautomatischen Waffe auf die Gruppe Israelis, die offenbar durch ein Viertel der Stadt patrouillierten, in dem die Lage besonders angespannt ist. Ein Mensch sei am Bein verletzt worden.
In der Stadt Lod kam es am Donnerstag zu gewaltsamen Unruhen
Foto: Oren Ziv / dpa
Auch international wächst angesichts des andauernden Raketenbeschusses auf Israel aus dem Gazastreifen und der israelischen Vergeltungsschläge die Angst vor einem erneuten Krieg im Nahen Osten. Die USA bekräftigten Israels Recht auf Selbstverteidigung und forderten ein Ende des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte in einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Angriffe auf die israelische Bevölkerung. Er sprach sein Beileid für die »zahlreichen Verluste der palästinensischen Zivilisten« aus und forderte Abbas auf, »alle Mittel seines Einflusses zu nutzen, damit so schnell wie möglich Ruhe einkehrt«.
Russlands Präsident Wladimir Putin und UN-Generalsekretär António Guterres riefen beide Seiten zur Einstellung der Angriffe auf. Es sei »die wichtigste Aufgabe, die gewaltsamen Handlungen auf beiden Seiten zu beenden und die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu garantieren«, erklärte der Kreml nach einer Videokonferenz.
Französischer Präsident Macron, Palästinenserpräsident Abbas: »alle Mittel nutzen, damit so schnell wie möglich Ruhe einkehrt«.
Foto: CHARLES PLATIAU/ REUTERS
Eine für Freitag geplante Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats wurde am Donnerstag abgesagt. Laut Diplomaten waren die USA gegen die erneute Sitzung, die die dritte binnen einer Woche gewesen wäre. Israel hatte die internationale Gemeinschaft in einem Brief zuvor aufgefordert, die »wahllosen Angriffe« aus Gaza zu verurteilen. Am Vortag hatte der palästinensische Botschafter bei der Uno, Rijad Mansur, ein Ende der israelischen Angriffe »auf die palästinensische Zivilbevölkerung« gefordert.
Wegen des anhaltenden Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen stellten zahlreiche Fluglinien, darunter die Lufthansa, den Flugverkehr nach Tel Aviv vorübergehend ein.
Israelischen Angaben zufolge feuerten militante Palästinenserorganisationen wie die Hamas und der Islamische Dschihad seit Montagabend insgesamt mehr als 1600 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel ab, die israelische Armee reagierte demnach mit rund 600 Angriffen auf Ziele im Gazastreifen.
Angriff auf Geheimdienst-Anlage
Nach Militärangaben haben israelische Kampfjets dabei auch eine Anlage des Hamas-Geheimdienstes beschossen. Auf dem Areal befindet sich das wichtigste militärische Beobachtungszentrum der Organisation, wie die Armee mitteilte. Dutzende Mitglieder der islamistischen Hamas sollen sich demnach zur Zeit des Angriffs dort aufgehalten haben. Ob es Tote oder Verletzte unter ihnen gab, sagte die Armee nicht.
Die Hamas setzte nach eigenen Angaben auch Drohnen ein. Die israelische Armee gab an, eine Drohne abgeschossen und zwei weitere mit Sprengstoff beladene Fluggeräte entschärft zu haben.
Durch die Attacken aus dem Gazastreifen wurden in Israel sieben Menschen getötet, darunter ein sechsjähriges Kind sowie ein Soldat. Im Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben seit Montag insgesamt 83 Menschen getötet, darunter 17 Kinder. Zudem meldeten die palästinensischen Gesundheitsbehörden knapp 500 Verletzte. Die Hamas bestätigte den Tod mehrerer ihrer militärischen Anführer, darunter auch der Chef ihres bewaffneten Arms im Gazastreifen, Bassem Issa.
Auslöser der jüngsten Gewalteskalation ist die drohende Zwangsräumung von rund 30 Palästinensern aus ihren von jüdischen Israelis beanspruchten Wohnungen in Ost-Jerusalem. Bei den heftigsten Zusammenstößen seit Jahren zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern in Ost-Jerusalem waren in den vergangenen Tagen hunderte Palästinenser und dutzende Polizisten verletzt worden.
Maas macht Hamas für Eskalation verantwortlich
Unterdessen machte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) die Hamas für die Zuspitzung der Nahost-Krise verantwortlich. »Zumindest die jüngste Eskalation hat Hamas mutwillig herbeigeführt, indem sie über tausend Raketen auf israelische Städte geschossen hat«, sagte Maas der »Bild«. Die Bundesregierung wolle jetzt »alle Kanäle nutzen, um auf eine Entspannung der Lage hinzuwirken«.
»Zumindest die jüngste Eskalation hat Hamas mutwillig herbeigeführt.«
Heiko Maas, Bundesaußenminister (SPD)
Maas sagte, er wolle mit einer »verhandelten Zweistaatenlösung den fatalen Kreislauf der immer wiederkehrenden Gewalt durchbrechen«. Deutschland setze sich für ein »sofortiges Ende der Gewalt« ein. Gelinge dies nicht, sieht der Außenminister »schwere Tage auf uns zukommen«.
Mit Sorge betrachtet das Auswärtige Amt die politische Führung der Palästinenser. »Wir beobachten, dass die Palästinenser gespalten sind und die Palästinensische Autonomiebehörde in Teilen der palästinensischen Gebiete die Kontrolle verloren hat«, sagte Maas. Daher lehne die Bundesregierung Sanktionen ab. »In so einer Situation helfen Bestrafungen nicht.«