Der Mann, der Umfragen zufolge das Kandidatenfeld bei der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag anführt, hatte einmal viel Klang in Peru – Hernando de Soto. Vor dreißig Jahren avancierte der Wirtschaftswissenschaftler als Verfechter einer »Marktwirtschaft von unten« zum intellektuellen Guro des damaligen Präsidenten Alberto Fujimori.
De Soto hatte sogar einen eigenen Thinktank, das »Institut für Demokratie und Freiheit« in Lima, bis es 1991 von der maoistischen Terrororganisation »Leuchtender Pfad« in die Luft gesprengt wurde. Nun will De Soto, der bald 80 Jahre alt wird, die Wahl zum peruanischen Staatsoberhaupt gewinnen. Eine seiner Konkurrentin: Keiko Fujimori, die Tochter seines Ex-Chefs.
Der Universitätsprofessor, dessen Eltern aus Japan stammten, regierte Peru zehn Jahre lang, von 1990 bis 2000. Seit 2007 sitzt im Gefängnis, er wurde wegen Korruption und dem Einsatz von Todesschwadronen während seiner Regierungszeit zu 25 Jahren Haft verurteilt. Dennoch verfügt er immer noch über eine beachtliche Anhängerschaft.
Fujimoris große Hoffnung ist es, dass seine Tochter Keiko am Sonntag gewinnt: Sie versteht sich als politische Erbin ihres Vaters und würde ihn vermutlich sofort begnadigen, sollte sie Präsidentin werden. Es ist ihr mittlerweile dritter Anlauf, auch sie hat bereits wegen Korruptionsvorwürfen vorübergehend im Gefängnis gesessen.
Kein Kandidat kommt auf mehr als elf Prozent
Fraglich ist, ob Keiko Fujimori und de Soto die geeigneten Politiker sind, um die von Korruption, Kungelei und Vetternwirtschaft zerfressene peruanische Demokratie zu erneuern. Die meisten Parteien und Politiker sind in den Augen der Bevölkerung so schlecht beleumdet, dass keiner der 18 Kandidaten in Umfragen auf mehr als knapp elf Prozent kommt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es daher im Juni zu einer Stichwahl kommen.
»Seit Fujimori wurde allen peruanischen Präsidenten wegen Korruption der Prozess gemacht«, sagt der Politikwissenschaftler Fernando Tuesta von der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru. Die meisten sitzen oder saßen im Gefängnis, einer hat sich in die USA abgesetzt, ein anderer nahm sich das Leben, als er verhaftet werden sollte. »Das hat die meisten Politiker in der Bevölkerung nachhaltig in Verruf gebracht«, so Tuesta.
Demonstration für die Demokratie in Lima (im November vergangenen Jahres): Der peruanische Frühling ist im Frust erstickt
Foto: Rodrigo Abd / dpa
Das Kandidatenfeld weckt jedenfalls wenig Vertrauen. Unter anderen treten an:
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Der ultrakonservative Unternehmer Rafael López Aliaga, der in Geldwäsche verwickelt sein soll und der erzkatholischen Glaubensvereinigung Opus Dei angehört. Er prahlte damit, dass er sich regelmäßig mit der Peitsche geißelt, wenn er an Sex denkt. Manche sehen in ihm einen »peruanischen Bolsonaro«.
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George Forsyth, ein ehemaliger Torwart von »Alianza Lima«, der mal bei Borussia Dortmund auf der Reservebank saß und sich als Bezirksbürgermeister beliebt gemacht hat, weil er gegen die fliegenden Händler vorging.
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Der linksliberale Populist Yonhy Lescano, der das Coronavirus mit Zuckerrohrschnaps bekämpfen will.
Es ist unmöglich vorherzusagen, wer das Rennen machen wird. Sicher ist: Der »Peruanische Frühling«, den sich manche nach der Amtsenthebung von Martín Vizcarra im vergangenen November erhofft hatten, ist ausgeblieben. Demonstranten waren damals so lange auf die Straße gegangen, bis Vizcarras Nachfolger, der sich mittels Intrigen eigenmächtig ins Amt befördert hatte, zurücktreten musste. Damit erwiesen sie der peruanischen Demokratie einen unschätzbaren Dienst.
Doch vier Monate nach den Turbulenzen ist die Bewegung ähnlich zersplittert wie die politischen Parteien. Es half nichts, dass der Kongress eine Fünf-Prozent-Hürde nach deutschem Vorbild eingeführt hat: Die achtzehn Kandidaten liegen in den Umfragen so eng beieinander, dass »fünf oder sechs in die zweite Runde gelangen könnten«, so Politikwissenschaftler Tuesta. »Das hat es noch nie gegeben«.
Tuesta war dafür eingetreten, die Wahl zu verschieben – nicht aus politischen Gründen, sondern weil sie in dem Corona-gepeinigten Land zu einem Superspreader-Event werden könnte. In Peru herrscht Wahlpflicht, beim letzten Mal betrug die Beteiligung über 80 Prozent, diesmal dürften es noch mehr sein. »Kein Politiker ist öffentlich für eine Verschiebung eingetreten«, so Tuesta. »Sie haben sich gedrückt, weil einige davon profitiert und andere verloren hätten«.
Für die Entwicklung der Pandemie könnte sich das als fatal erweisen. In keinem anderen südamerikanischen Land sind in Relation zur Bevölkerung so viele Menschen an Covid gestorben wie in Peru. Gerade wütet die dritte Welle – und sie droht noch schlimmer zu werden als die ersten beiden. Am Dienstag teilte das Gesundheitsministerium mit, dass innerhalb von 24 Stunden 314 Menschen an dem Virus gestorben seien, mehr als je zuvor.
Die Wähler fürchten das Virus
Wegen der Pandemie fand der Wahlkampf vor allem im Fernsehen und im Internet statt, »das hat den Enthusiasmus der Wähler gebremst«, so Tuesta. »Die Leute sind vor allem damit beschäftigt herauszufinden, wie sie wählen können, ohne sich anzustecken.«
Selbst wenn es am Sonntag einen klaren Sieger geben sollte und dieser auch die Stichwahl klar für sich entscheidet, ist unwahrscheinlich, dass mit dem neuen Präsidenten politische Stabilität einkehrt. Außer dem neuen Staatsoberhaupt wird am Sonntag auch ein neues Parlament gewählt. Das wird Umfragen zufolge noch stärker zersplittert sein als das Kandidatenfeld bei der Präsidentschaftswahl.
Für den neuen Staatschef bedeutet es, dass er voraussichtlich nicht über eine parlamentarische Basis verfügen wird – und das in Zeiten einer Pandemie und dramatischen Wirtschaftskrise. Die Chancen sind groß, dass auch der neue Mann oder die neue Frau vor dem Ende ihrer Amtszeit den Präsidentenpalast räumen werden.