Noch bevor der Wahlkampf in Madrid überhaupt offiziell begonnen hatte, konnte man schon einen Eindruck bekommen, wie schmutzig das Ringen um die Macht in der Region würde.
Am Montagmorgen um kurz nach halb zehn, gab Isabel Díaz Ayuso, die konservative amtierende Regionalpräsidentin von Madrid, ein Fernsehinterview. Wenige Tage zuvor hatte Ayuso Neuwahlen in Madrid ausgerufen, jetzt saß sie im Fernsehstudio, wie so oft leicht grinsend und bester Laune. Ayuso sagte: »Wenn sie dich Faschistin nennen, stehst du auf der richtigen Seite der Geschichte.«
Pablo Iglesias: Lieblingsfeind der Konservativen
Foto: Chema Moya / EPA
Keine drei Stunden später lud Pablo Iglesias, der linksalternative Vizepräsident Spaniens, auf seinem Twitterprofil ein Video hoch. Er werde als Vizepräsident Spaniens zurücktreten, sagte Iglesias darin, um in Madrid bei der Regionalwahl gegen Ayuso anzutreten. Die Führung seiner Partei Unidas Podemos übergebe er an die Arbeitsministerin Yolanda Díaz.
In Madrid, sagte Iglesias, gehe es am 4. Mai um alles. Um die Ausbildung der Kinder, das Gesundheitssystem. Um die Demokratie. Er trete als Madrilene an, sagt Iglesias noch. Aber auch als Antifaschist. Zum Schluss klopft er sich mit der rechten Faust zweimal aufs Herz.
Linkspopulist gegen Rechtspopulistin
Iglesias und Ayuso haben nur auf den ersten Blick viel gemeinsam, in Wirklichkeit sind sie wie Feuer und Eis. Beide sind 42 Jahre alt, beide wurden am 17. Oktober in Madrid geboren, beide sprechen in Pointen, die in Tweets passen. Vor knapp zehn Jahren traten sie zusammen in Iglesias’-TV-Show »La Tuerka« auf. Ayuso und Iglesias hatten schon damals dieselben Rollen inne wie heute. Vor der Kamera stritten sie sich über Politik, hinterher tranken sie schon mal zusammen ein Bier, tauschten neckische Nachrichten auf Twitter aus. Noch heute sind beide vor der Kamera am besten, in Debatten fallen sie gnadenlos über ihre Gegner her.
Iglesias gegen Ayuso, in Linkspopulist gegen eine Rechtspopulistin, das Duell elektrisiert Spanien. Iglesias wirft Ayuso »Trumpismus« vor, Ayuso rückt Iglesias in die Nähe der Terroristen von Eta. Der polemische Wahlkampf, so viel lässt sich jetzt schon sagen, wird das ohnehin polarisierte Land noch weiter spalten und die Pandemiebekämpfung erschweren.
Ähnlich wie in Deutschland müssen sich die Regionalregierungen mit der Zentralregierung auf eine gemeinsame Linie einigen. Ayuso inszeniert sich dabei seit Wochen als Freiheitskämpferin, die ihren Bürgern möglichst wenig verbietet. Um eine vierte Welle zu verhindern, sollen in Spanien um Ostern herum strikte Reisebeschränkungen gelten. Alle Regionen einigten sich darauf, nur Ayuso mochte nicht mitmachen. Im Kampf um die Hauptstadt scheint alles erlaubt.
Ayuso: »Kommunismus oder Freiheit«
Isabel Díaz Ayuso, geboren im schicken Madrider Stadtteil Chamberí, ist gelernte Journalistin. Einst twitterte sie im Wahlkampf im Namen von Pecas, dem Hund der damaligen Spitzenkandidatin der Konservativen.
Inzwischen hat Ayuso sich als Hardlinerin selbst einen Namen gemacht. Bei der nun anstehenden Wahl setzt sie auf die Unterstützung der Rechtsextremen von Vox. Die sollen zwar möglichst nicht mit in ihre Regierung, sind aber ihre einzige Hoffnung auf eine Parlamentsmehrheit. Ihre Partei führt Ayuso so immer weiter an den rechten Rand.
In Madrid dürfte sie damit erfolgreich sein, im Rest des Landes könnte der Rechtsruck für die Konservativen ein Problem werden. Ayusos Wahlkampfslogan wird trotzdem von allen Parteifreunden nachgeplappert: »Kommunismus oder Freiheit«, lautet er. Wobei Ayuso für die Freiheit steht und selbst die Liberalen unter Kommunismusverdacht stellt.
Iglesias: Kampf gegen die korrupte »Politiker-Kaste«
Pablo Iglesias wird »El Coletas« genannt, der Mann mit dem Zopf. 2001 fuhr Iglesias als junger Mann zum G8-Gipfel in Genua. Mit lila Shirt, Piercing über dem Auge und schwarzer Sonnenbrille auf dem Kopf wetterte er gegen den Polizeieinsatz. Später verbreitete der promovierte Politologe seine linken Thesen in einer eigenen TV-Show, machte mobil gegen eine korrupte »Politiker-Kaste«.
Pablo Iglesias im Wahlkampf 2019: »El Coletas«
Foto: J P GANDUL/EPA-EFE/REX
Nach der Finanzkrise gründete er mit Weggefährten in Madrid die Protestpartei Podemos. Iglesias begeisterte die empörte spanische Jugend, fortan teilten nicht mehr nur Sozialisten und Konservative die Macht unter sich auf. Als Vizepräsident einer linken Koalition zügelte Iglesias sich lange, dann brach es doch aus ihm heraus. Spanien sei keine vollwertige Demokratie, verkündete er im Frühjahr, später warnte er vor der Macht der Medien. Das konservative Establishment war geschockt.
Das Duell der beiden Populisten ist die Konsequenz eines politischen Erdbebens, das in Murcia begann, einer kleinen Region im Osten des Landes. Dort regierten bisher Liberale und Konservative, vergangene Woche dann hatten die Liberalen genug. Einen Skandal um irregulär geimpfte Politiker nahmen sie zum Anlass, um die Konservativen in einem Misstrauensvotum zu stürzen – gemeinsam mit den Sozialisten. Der Versuch schlug fehl, aber Ayuso fürchtete offensichtlich, dass die Liberalen, mit denen sie in Madrid regierte, ähnliches vorhaben könnten. Noch am selben Tag rief sie Neuwahlen aus.
Iglesias setzt seine Karriere aufs Spiel
Für Ayuso und Iglesias steht nun plötzlich viel auf dem Spiel. Gewinnt Ayuso, und das scheint derzeit gut möglich, ist sie die neue starke Frau bei den Konservativen. Verliert sie, hat sie sich an ihrer Nähe zu den Rechtsextremen verbrannt.
Isabel Díaz Ayuso in einem Restaurant in Madrid Mitte März 2021: »Kommunismus oder Freiheit«
Foto: Jose Velasco / dpa
Iglesias hingegen startet aus misslicher Lage: Die Linke in Madrid ist gespalten, in den vergangenen Jahren hat sie sich vor allem selbst bekriegt. Iglesias war daran nicht unbeteiligt. Sein ehemaliger Weggefährte Iñigo Errejon gründete nach einem Streit mit ihm eine eigene Partei, Más Madrid, die nun eine gemeinsame Liste mit Iglesias ausschließt. Laut Umfragen könnte Unidas Podemos schlimmstenfalls sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Iglesias will das mit aller Macht verhindern.
Scheitert er, hätte Iglesias nicht nur Madrid an die Frau verloren, die er für eine Wegbereiterin des Faschismus hält, sondern wohl auch innerhalb von ein paar Wochen seine Karriere zerstört. Für einen Vizepräsidenten und Parteichef wäre das ein ziemlich steiler Abstieg.