Kann man den Umgang mit Geld trainieren โ und lernen, Lohn oder Gehalt so einzuteilen, dass am Monatsende noch etwas davon รผbrig ist? Das haben wir Monika Mรผller gefragt. Sie ist Finanzpsychologin und unterstรผtzt als Coach Menschen bei Finanzentscheidungen.ย
SPIEGEL: Fรผnf meiner engsten Freundinnen und Freunde haben dieses Jahr ihren ersten richtigen Job angefangen. Mit dem neuen Gehalt sollte sich vieles รคndern. Sie wollten endlich die Schulden bei ihren Geschwistern zurรผckzahlen oder Geld fรผr die Zukunft beiseitelegen.
Ein halbes Jahr spรคter erzรคhlen sie mir, dass sie jeden Monat ihr komplettes Gehalt ausgeben und sich am Ende wundern, wofรผr. Was ist passiert?
Monika Mรผller: Das erste Gehalt zu bekommen, ist wie im Restaurant einen vollen Teller vor sich zu haben. Man fรคngt gierig an, sich davon zu nehmen. Das tut gut und macht Freude. Rationale Aspekte, wie die Tatsache, dass man die Rechnung noch bezahlen muss oder eben fรผr die Zukunft vorsorgen sollte, treten in den Hintergrund. Jetzt wird erst einmal genossen.
SPIEGEL: Woran liegt das?
Mรผller: In einen neuen Job einzusteigen, ist fรผr das Gehirn unglaublich anstrengend. Es muss viele neue Informationen, Prozesse und Menschen verarbeiten. Komplexe รberlegungen wie die Altersvorsorge sind in dem Moment ein zu groรer Aufwand und werden deshalb zurรผckgestellt.ย
Eine neue Erfahrung
SPIEGEL: Wir geben also unser Gehalt aus, ohne nachzudenken.
Mรผller: Ja, und ich glaube, dass diese Erfahrung wichtig ist. Ich finde es nicht sinnvoll, mit einem festen Finanzkonzept in die Arbeitswelt zu starten. Man braucht die Offenheit, sich erst einmal im Umgang mit Geld auszuprobieren.
SPIEGEL: Viele Studierende haben schon wรคhrend des Studiums mit Nebenjobs ihr eigenes Geld verdient. Wieso fรคllt Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern der Umgang mit dem Gehalt trotzdem so schwer?
Mรผller: Weil sie sich in einer ganz anderen Situation befinden. Wenn man in den Beruf startet, verbringt man viel mehr Zeit bei der Arbeit und wird vielleicht zum allerersten Mal in voller Verantwortung in einem Unternehmen eingebunden. Darauf verwendet der Organismus alle Energie. Das ist ganz natรผrlich. Es ist aber wichtig, nach einer gewissen Zeit etwas Distanz herzustellen und den Umgang mit dem Gehalt anzugehen.
SPIEGEL: Berufseinsteiger mรผssen Arbeit erst trainieren, sagen Psychologen. Kรถnnen sie den Umgang mit ihrem Gehalt auch trainieren?
Mรผller: Trainieren klingt mir zu anstrengend. Ich empfehle, zu experimentieren. Das habe ich damals selbst so gemacht: Ein paar Monate nach dem Berufseinstieg habe ich รผberlegt, welchen Betrag ich monatlich aus dem Prozess des Ausgebens herausziehen kann. Den habe ich auf ein anderes Konto geschoben. Und dann habe ich beobachtet: Wie komme ich damit klar? Will ich das dauerhaft so handhaben?
Getrennte Konten
SPIEGEL: Ich รผberweise also direkt Geld auf ein anderes Konto, wenn ich mein Gehalt bekomme. Und dann?
Mรผller: Die Idee ist, mit beiden Konten bewusst umzugehen, statt wie automatisch Geld auszugeben. Durch das Abwรคgen, welchen Betrag ich wirklich brauche und welchen ich auf das Langzeit-Konto gebe, werde ich aufmerksamer. Ich kann mir anschauen: Wie ist das Verhรคltnis zwischen Alltags- und Langzeit-Konto? Muss ich wieder etwas zurรผck รผberweisen?
Durch diese Aktionen bleibe ich in einer mittleren Aufmerksamkeitsspanne, so heiรt es in der Psychologie: Mir ist nicht alles egal, aber ich bin auch nicht hoch angespannt. In einer mittleren Aufmerksamkeitsspanne reagieren wir klug und organisieren uns am besten.
SPIEGEL: Was kann bei der Organisation noch helfen?
Mรผller: Ein Jahresplan kann nรผtzlich sein, indem man auflistet, welche Betrรคge jeden Monat fรคllig werden und was nur einmal im Jahr. Versicherungen fรผr das Auto fallen zum Beispiel in letztere Kategorie. Fรผr das Alltags-Konto kann man einen Themenplan erstellen, zum Beispiel als Mind-Map. Da gibt es dann Zweige mit Urlaub, Zukunft, Schulden und so weiter. Dann รผberlegt man, welcher Betrag in welchem Monat mit welchem Ziel ausgegeben werden soll. Das sollte man schriftlich machen. Unser Gehirn arbeitet am besten, wenn unsere Hand etwas tut.
SPIEGEL: Und dann klappt alles von allein?
Mรผller: Berufseinsteiger haben ja schon fast ein ganzes Leben Erfahrungen mit Geld gesammelt, zum Beispiel beim Taschengeld. Dieser Erfahrungsschatz kommt wieder. Ziel ist, dass man eine intuitive Klarheit bekommt, welcher Umgang mit Geld fรผr einen passt, und unbewusste Muster entwickelt.
SPIEGEL: Und wenn ich schon immer Schwierigkeiten im Umgang mit Geld hatte?
Mรผller: Vielleicht fehlt dann einfach nur Wissen, zum Beispiel, wie man einen Investmentsparplan aufstellt. Dann rate ich dazu, sich im Internet auf einzulesen, Angebote gibt es da genug. Manchmal liegt es allerdings auch an emotionalen Hรผrden, wenn man beispielsweise Geschwistern Geld einfach nicht zurรผckzahlt. Die sind natรผrlich sehr individuell. Es kann helfen sich mit Profis zusammenzusetzen, etwa mit einer Honorarberaterin oder einem Finanzcoach.
Sich selbst belohnen?
SPIEGEL: Nach einer anstrengenden Woche habe ich oft den Wunsch, mich zu belohnen und mir etwas Schรถnes zu kaufen. Ist das schlimm?
Mรผller: Die Frage ist, welches Motiv hinter diesem Wunsch steht: Mรถchte man ein Bedรผrfnis stillen, das mit einem Kauf gar nicht erfรผllt werden kann? Wenn man eigentlich nach Wertschรคtzung von Kolleginnen und Vorgesetzten sucht, sollte man sich die Belohnung nicht selbst geben, sondern Feedback von den anderen einfordern.
SPIEGEL: Und wenn ich einfach nur finde, dass ich in der Woche viel geleistet habe?
Mรผller: Auch hier sollte man erforschen, was einem wirklich guttut. Vielleicht ist es gar nicht das Teil, das man kauft, sondern ein kurzes Innehalten am Ende der Woche. Dann kรถnnte allein schon der bewusste Gedanke, dass man diese Woche richtig gut gearbeitet hat, viel bewirken.